Erst Odyssee - dann absurd einfach. Eine junge Frau berichtet über ihren Weg zur PrEP

Die PrEP ist eine Tablette mit zwei Wirkstoffen, Tenofovir und Emtricitabin, die ursprünglich nur zur Behandlung von HIV/Aids eingesetzt wurden. Seit 2016 werden die beiden Substanzen auch vorbeugend verschrieben, zur Prophylaxe von HIV. User*innen sind Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) und andere Menschen mit erhöhtem HIV-Risiko. - Der Allgemeinbevölkerung ist diese Prä-Expositions-Prophylaxe (Vorsorge vor einem möglichen HIV-Kontakt) weitestgehend unbekannt. Selbst gesundheitsbewusste Frauen kennen die "PrEP" nicht – was PrEP-User*in Anna ändern möchte.

"Das dürfen Sie nicht, das ist gefährlich", sagt die Gynäkologin entsetzt. Die Ärztin ist geschockt von Annas Aussage, mehrere Sexpartner*innen zu haben und sich daher auf Sexually Transmitted Infections (STI, sexuell übertragbare Infektionen) testen lassen zu wollen. Zwar werden die Tests angeordnet, aber Anna fühlt sich nicht aufgehoben. Sie unterlässt es, eine Information zu überprüfen, auf die sie vor kurzem gestoßen ist – sie weiß gar nicht mehr, wo: Es gebe jetzt ein Medikament, mit dem die mögliche sexuelle Übertragung einer HIV-Infektion verhindert werden könne. Gemeint ist - das hört sie später von schwulen Bekannten – die Prä-Expositions-Prophylaxe, kurz "PrEP". Personen, die diese "Pille davor" einnähmen, blieben HIV-negativ, auch bei Sex ohne Kondom.

Anna, 35, lebt mit ihrem Mann in einem Kölner Vorort. Die beiden erziehen gemeinsam ihre drei Söhne; als Paar haben sie sich getrennt. Die junge Frau lebt Sexualität selbstbewusst und vielfältig - mit mehreren Partner*innen, darunter auch MSM. Zur Empfängnisverhütung hat sie sich nach abgeschlossener Familienplanung die Eileiter entfernen lassen und damit gleichzeitig ein Krebsrisiko reduziert. Zum Schutz vor HIV und weiteren STI besteht sie nach wie vor auf Kondomgebrauch. "Meine Gesundheit ist mir wichtig", erklärt die studierte Juristin, die als Tagesmutter U3-Kinder betreut (eine Kanzleitätigkeit wäre ihr zu trocken). "Es geht dabei gar nicht nur um mich. Schließlich trage ich in Beruf und Familie hohe Verantwortung für andere!" 

 

Den Impuls für Annas Berichterstattung setzte XXelle PLUS, eine Vernetzung HIV-positiver Frauen in NRW, die sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen mit HIV/Aids einsetzen. Die Aktivist*innen befürworten Annas klare Entscheidung für die PrEP. "Hätte es die Prophylaxe zum Zeitpunkt meiner Infizierung schon gegeben, ich hätte sie genommen. Und wäre wohl heute nicht positiv!" sagen mehrere der Frauen, die sich bei XXelle PLUS engagieren. 


Bei korrekter Anwendung senken Kondome das allgemeine STI-Risiko erheblich. Vor HIV schützen sie sogar zuverlässig (über 90 %). Doch Anna kennt Kondomunfälle, und vor HIV hat sie besonderen Respekt. Im Laufe der Zeit stellt sie fest, dass viele schwule Männer die Tablette zur HIV-Prophylaxe selbstverständlich nehmen. Aber gibt es die PrEP auch für Frauen? Niemand weiß das so recht. Von ihrer Gynäkologin enttäuscht sucht Anna im Web nach Anbietern von STI-Beratung. So gelangt sie zur Aidshife Köln. Auch hier schwule Männer – zunächst. Doch im Hause gibt es eine Expertin, von der Anna am nächsten Tag zurückgerufen wird. Birgit Körbel vom Frauen- und Familienzentrum der Kölner Aidshilfe hat alle Informationen zur weiblichen Variante der Prophylaxe: Wirkungsweise (die beiden Wirkstoffe verhindern die Vermehrung von HI-Viren in den Körperzellen), Einnahme (kontinuierlich einmal täglich) und Dauer der Einnahme (ggf. nur in Lebensphasen mit erhöhtem HIV/STI-Risiko). Über 90-prozentige Schutzwirkung, vergleichbar mit dem Schutz durch Kondome. Gute Verträglichkeit, bei Langzeiteinnahme kann eine Schädigung der Nieren und/oder eine Neigung zu Osteoporose (Knochenbrüchigkeit) auftreten. - Anna erfährt, dass die Frauen-PrEP in Deutschland und Europa nur hochriskierten Zielgruppen wie Transfrauen ausdrücklich empfohlen wird. "Aber ich hatte den Eindruck, dass Frau Körbel mein Sicherheitsbedürfnis akzeptiert", berichtet sie. Ihr Entschluss, die PrEP auszuprobieren, steht fest.

Für PrEP-Anwärter*innen wie Anna hat Birgit Körbel schon vor geraumer Zeit die Kooperation mit einer Kölner HIV-Schwerpunktpraxis aufgebaut, die Frauen das Medikament verschreibt. In dieser Praxis fühlt Anna sich optimal betreut. „Wie bereits in der Aidshilfe werde ich hier beraten und nicht bewertet“, stellt sie fest. Ihre Aussage, Sex mit mehreren Partner*innen zu haben, habe den Stellenwert einer sachlichen Information, die dem Arzt als Legitimation zur Verordnung der PrEP genüge.

 

Birgit Körbel vom Frauen- und Familienzentrum der Aidshilfe Köln rät Frauen nicht grundsätzlich zur PrEP. "Doch können auch Frauen Gründe haben, das Medikament in Erwägung zu ziehen", sagt sie. "Grundsätzlich dann, wenn sie Sex ohne Kondom mit mehreren oder wechselnden Partner*innen haben, in welcher Lebenssituation auch immer." Phasen mit erhöhtem HIV-Risiko seien oft Zeiten, in denen Routinen verlassen würden, "zum Beispiel nach Trennung, auf Reisen, in neuem beruflichen Umfeld." - Zu denken gibt Körbel, dass vier Jahre nach Einführung der Prophylaxe eine intelligente, gesundheitsbewusste Frau wie Anna ihren Weg zur PrEP als Odyssee beschreibt. "Da haben wir schon, neben Kondom und Femidom, eine weitere sichere Methode der HIV-Prävention, und niemand kennt sie", sagt die Aidshilfe-Expertin. Es bedürfe dringend erweiterter Präventionsstrategien. "Damit Frauen ihre Sexualität selbstbestimmt leben können, ist sicherzustellen, dass sie ebenso selbstverständlich Informationen zu PrEP und allgemeinen Methoden der STI-Prävention erhalten wie zu Empfängnisverhütung. Und dass Beratung hierzu ohne erhobenen Zeigefinger erfolgt!"


Anna verträgt die PrEP gut. Ihre leichte morgendliche Übelkeit zu Beginn der Einnahme legt sich nach 14 Tagen. Depressionen – eine seltene, aber wegen persönlicher Vorgeschichte befürchtete Nebenwirkung – treten nicht auf. "Jetzt, wo ich nach meiner Odyssee die PrEP endlich erhalte, ist sie absurd einfach", freut sie sich. Als Zusatznutzen empfindet sie die nunmehr automatisierte regelmäßige Überprüfung ihrer sexuellen Gesundheit. Denn Behandlungszentren, die PrEP-Medikamente verschreiben – in der Regel HIV-Schwerpunktpraxen und spezialisierte Klinikambulanzen – unterliegen strengen Auflagen. Da nur HIV-Negative die PrEP einnehmen dürfen, wird alle drei Monate ein HIV-Test durchgeführt. Gleichzeitig erfolgen Untersuchungen auf alle anderen sexuell übertragbaren Infektionen - denn vor ihnen schützt die Prophylaxe nicht. Auch auf Nebenwirkungen wird untersucht, unter anderem werden Nieren- und Leberwerte ermittelt. Und – Anna kann es kaum glauben – die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen sämtliche Kosten. 

Die junge Frau weiß, dass sie keine Smarties einnimmt. Sie hat auch erkannt, dass gemessen am Gesamtrisiko, sich mit einer STI zu infizieren, ihr HIV-Risiko winzig ist. Selbst ohne PrEP, die bei ihr - da aufgesattelt auf konsequenten Kondomgebrauch - einen gewissen Overkill darstellt. "Bei Hinweisen auf Nebenwirkungen wäre ich bereit, die Tablette wieder abzusetzen", versichert sie.

Aber noch genießt sie das zusätzliche Sicherheitsnetz. Und als Frau mit Interesse an Gesundheitspolitik und Gemeinwohl nutzt sie jede Situation, Frauen aus ihrem Umfeld über die Prophylaxe zu informieren. "Denn ob als Ergänzung oder Alternative zum Kondom – die PrEP ist ein Mittel der HIV-Prävention, worüber Frau Bescheid wissen sollte."

 

Gute Nachrichten für derzeitige und künftige PrEP-User*innen: Im Rahmen einer laufenden Studie des weltweiten HIV Prevention Trials Network erhalten Frauen aus Subsahara-Afrika die Wirkstoffe der PrEP in einer Zwei-Monats-Spritze. Eine Zwischenauswertung der Studie HPTN 084 zeigt, dass die Depot-Spritze mit Cabotegravir – so der Name des injizierbaren Medikaments -   HIV-Infektionen bei Frauen noch wirksamer verhindert als die tägliche PrEP-Tablette. Die Spritze, so auch die Weltgesundheitsorganisation WHO, habe großes Potential, weil die erforderliche Einnahmetreue bei langfristigem Gebrauch leichter zu gewährleisten sei als bei täglicher Einnahme. -  In Europa dürfte die Zulassung der Cabotegravir-Depot-Spritze zur HIV-Prophylaxe allerdings noch eine Weile dauern.

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